Drunk at Your Wedding (D)
Vorwiegend aufgenommen im winzigen Berliner Heimstudio des südafrikanischen Musikers Gil Hockman, der die Songs auch mixte, bewegt sich Drunk at your Wedding mit „I Have to Go Home“ irgendwo zwischen Garagenrock und Folk, sprödem Minimalismus und dezenter Opulenz, Moll-Stimmung und Melodien zum Mitsummen. Nina, die außer Bass (Torsten Hempelt/Rachel Glassberg) und Schlagzeug (Farivar Gorjian) alle Instrumente eingespielt hat – Blockflöte, Kalimba und Tchibo-Fingerschlagzeug inklusive – mag dunkle, tieftraurige, schroffe Musik der Sorte PJ Harvey, Scout Niblett oder frühe Cat Power. Zugleich hat sie eine große Affinität für traditionelle Folkmelodien. Und schreibt manchmal Lieder, die eingängiger und luftiger ausfallen, als es ihr lieb ist. Man könnte es Indie-Pop nennen, aber pssst, bitte nicht so laut!„I have to go home.“ – „You ARE home.“
So lautet ein kurzer Dialog zwischen dem 15-jährigen Musikjournalisten William und seiner heimlichen Liebe Penny Lane in einer Schlüsselszene des Rock‘n‘Roll-Films „Almost Famous“. Ein Dialog, der dem neuen Album von DRUNK AT YOUR WEDDING aus Berlin seinen Titel gab. Weil er gut als Metapher dafür funktioniert, dass man einfach mal im Moment leben und sich auf das konzentrieren sollte, was da ist, nicht auf das, was fehlt, das Positive, nicht das Negative. Klingt nach dämlichem Kalenderspruch, schon klar. Fällt einem diese Denkweise jedoch schwer, hat man ein formidables Rezept zum Unglücklichsein.
Hadern, Suchen und Rastlosigkeit, aber auch die Erkenntnis, dass einem nur das Hier und Jetzt bleibt, stehen im Zentrum von „I Have to Go Home“, das von Erfahrungen auf Rucksackreisen, der Komplexität von Wahrheit und der Unmöglichkeit von Liebe erzählt. Es ist die zweite Platte des Indie-Rock/Singer-Songwriter-Projekts DRUNK AT YOUR WEDDING, das seinen Namen ebenfalls einem Zitat verdankt, nämlich dem Smog-Song „Your Wedding“ mit seiner mantrahaft wiederholten Zeile: „I‘m gonna be drunk, so drunk at your wedding.“ Noch so ein aufgeladener Satz.
DRUNK AT YOUR WEDDING hat seit den Anfängen im Jahr 2010 verschiedene Konstellationen erlebt: DAYW 1.0 war ein Gitarre-Schlagzeug-Duo, das bis zu seiner Trennung nur wenige Male den Weg vom Probenraum vor ein Publikum fand. Irgendwann folgte DAYW 2.0, ein Duo ohne Schlagzeug, das Bars in Kreuzberg und Neukölln bespielte und 2016 sein Home-Recording-Debüt „Big Sigh“ veröffentlichte. Inzwischen ist DRUNK AT YOUR WEDDING ein Soloprojekt (DAYW 3.0) und besteht aus einer Frau – Nina Töllner – und einer Gitarre. Letztere ist heute meist elektrisch. Eine „sensible Singer/Songwriterin mit Akustikklampfe“ wollte Nina, die einst von der Nordseeküsten-Provinz nach Berlin zog und in den letzten Jahren beim „Open Mic L J Fox“ im kleinen, dunklen Keller des Kreuzberger Clubs Madame Claude ihre kreative Community fand, nämlich nicht sein. Weil: zu langweilig.
Motto: Not sad music is depressing. Bad music is.
In den – mit popkulturellen Referenzen gesprenkelten – Songtexten wird es oft persönlich, doch meist mit selbstironischem Unterton und einem Seitenblick aufs große Ganze. Während „Nobody There“ von der Angst vorm Scheitern und vor Verletzlichkeit handelt („And they can carve in that gravestone: ‚She never made a fool of herself‘), verabschiedet sich „Grey“ von einfachen Antworten in einer komplizierten Welt. Dagegen nimmt das von einem Sandmücken-Vorfall an einem einsamen mexikanischen Strand inspirierte „Sandflies“ (die erste Single, VÖ: 23.4.21) Eskapismus und Wohlstandsprivilegien aufs Korn: „And now there‘s bodies floating in the sea / They‘re spoiling the view for me“.
Eine Liebe, die u.a. an der geografischen Distanz scheitert, bildet den Kern des mit Afrobeat-Americana einsteigenden „Dear Eli“ und des Mandolinen-Mini-Epos „Chemistry“. Fazit: Sprechen die Umstände dagegen, nützt manchmal auch die Chemie zwischen zwei Menschen wenig. Aber vielleicht bleiben einem wertvolle Erinnerungen wie das von LSD, Abschiedswehmut und Sufjan Stevens‘ „Carrie & Lowell“ gezeichnete „You & Me & Sufjan“ (die zweite Single, VÖ: 25.6.21). Ein Teil des Liedes entstand übrigens nachts auf einer geliehenen Reisegitarre in einer neuseeländischen Hostelküche.
Aus Neuseeland brachte Nina auch das Debütalbum von Aldous Harding mit, deren atmosphärische Klavierballade „Horizon“ auf „I Have to Go Home“ in einer dynamischeren Gitarrenversion zu hören ist. Das Land auf der Südhalbkugel ist nicht zuletzt Schauplatz von „The Kindness of Strangers“, das von Begegnungen auf einer mehrmonatigen Tramptour erzählt: kuriosen, herzerwärmenden, erhellenden. Zitat:
„I held up a sign saying ‘I’ve got cookies!’ in Motueka / He laughed and turned ‘round / He used to be a soldier / Had been to Congo and Sudan / Now he lived on a boat / And during a cigarette by the roadside he told me / That you don’t need money / You always get what you need / He gave me tobacco, I gave him a cookie”
Die flirrend-schöne und genaue Beobachtungsgabe der Texte gibt uns überraschende Bilder und kleine Weisheiten wie Gaben, die wir anfassen können. Sie im Gepäck zu haben, macht die Songs von DRUNK AT YOUR WEDDING zu einem Erlebnis, das uns alle beim Hören ein bisschen wachsen lässt. Und nicht nur in den Worten, auch in den Gitarren gibt es einiges zu entdecken: Die teils spröde, teils sehr melodiöse Kombination aus Riffs, Picking und fantasievollen Lead-Figuren erzählt ihre eigene Geschichte.
Anfang und Ende der Platte markieren jedoch zwei A cappella-Stücke. Die Vertonung eines persönlichen Lieblingsgedichts von Emily Dickinson dient sowohl als Weckruf als auch als Schlaflied: „Good morning, midnight / I‘m coming home / Day got tired of me / How could I of him?“
Und so bildet eine metaphorische Heimkehr die Klammer auf „I Have to Go Home“, einem ruhelosem Album, das nicht aufhören kann, in die Ferne zu starren. Wie heißt es doch bei Aldous Harding? „Here is your princess and here is the horizon.“
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