Sorry Gilberto (D)

11.04.2015
Sorry Gilberto (D)

Seit 2007 ziehen Anne von Keller und Jakob Dobers als Sorry Gilberto durch die Clubs, Cafés, Theater, Wohnzimmer und Hinterhöfe von let's say Europa und singen von Tapiren, Dächern, Meisterwerken, ausgedachten Akademien und von der Grausamkeit der Kunst. Und immer klingt das einerseits wie gerade erfunden und hinerzählt und andererseits hat hier jeder Ton einen Grund und jede musikalische Haltung scheint bewusst gewählt. Und vielleicht ist das das Besondere an Sorry Gilberto: Sie verbinden die Unmittelbarkeit von Folksongs mit der glamouröseren und zitatreichen Sprache des Pop und zeigen so, dass auch diese Unmittelbarkeit längst eine Ausdrucksform ist, die zur Verfügung steht und genutzt werden kann.

Etwas hinschludern, aber mit Liebe zum Detail, das haben in den Neunzigern Bands wie Silver Jews oder Pavement vorgemacht, und Sorry Gilberto kombinieren diese Arbeitsweise mit ihrer Liebe zu kleinteiligen Ge-schich-ten in einem nichtmuttersprachlichen Englisch aus der Schule des Lebens und einem fast schon streng anmutenden Hang zur Reduktion. Nach „Memory Oh“ (2008) und „It was the longest Day and we didn't know how to end it“ (2010) erschien 2012 ihr drittes Album: „Construction Work & Stormy Weather“.

Normalerweise gehen Bands für ihr drittes Album in ein größeres Studio, engagieren einen Produzenten aus Schweden und schreiben ellenlange Songs mit experimentellen Parts. Sorry Gilberto haben einen andern Weg gewählt: die Hälfte der Songs auf „C W & S W“ wurden in Annes Küche aufgenommen, die andere Hälfte, wie schon bei den Alben zuvor, im Popschutz-Studio – und keiner ist über 4 Minuten lang. Immerhin gibt es zweimal Streicher zu hören (wunderbar arrangiert von Jakob Diehl), aber die dienen mehr einer mutwilligen Dramatik und verweigern die Überführung ins seriöse Fach.

Trotzdem ist diesmal einiges anders und so gehört es sich ja auch, wenn Construction Work drübersteht. Von dem über eine stoische alte Beatmaschine dahinschlingernden „Who Am I Watching“ geht eine wavige Melan-cholie aus, noch unterstützt durch den mantraartigen Duettgesang und den noisig kühlen Gitarrenteil am Ende. Ein blauer Gruß hinüber zu den Young Marble Giants. „New Sensations“ sinniert über die Möglichkeiten alt zu werden ohne zu verblöden ( ...and that i may not mistake my long gone youth / for the end of the avant-garde) und lässt Ukulele und Orgel euphorisch durch den Lebensabend reiten. Am weitesten entfernen sich Sorry Gilberto aber mit „Blockbuster“ von dem, was sie bisher gemacht haben: Mit Steve Heather (Drums) als Gast und den frühen The Cure im Ohr wird das Eindringen der Idee der Perfektion in das unzulängliche Selbst über Gitarren-lärm geshoutet. Was es sonst noch gibt? Einen zärtlich-weltlichen Gospelsong mit „Dear Passengers“, eine Nacht-ballade, reduziert und tiefschwarz über den Blick von außen aufs eigene Leben mit „The Jury“ und „Part Of Me“, das in der Erkenntnis gipfelt: „oh life/ the longer you have it / the stranger it gets.“

Strange-vertraut klingen auch die anderen Songs auf „CW & SW“ und zeigen wieder einmal, dass alles Anlass sein kann für ein Lied: ein Casiotonrauschen, ein altes Tierbuch oder komisches Wetter. Musik zum Aus-der-Zeit-fallen, auf der Höhe der Zeit. Oder wie es in „Chemical Romance“ heißt: „and if I had the chance / i would love to see them dance / close but without touching each other in a chemical romance / the music should be slow/ and the singer would sing oh/ if there is no time / if there’s only space / which place do you wanna go?”

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